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23 Dec
23Dec

Habt ihr früher auch an das Christkind geglaubt? In meiner Kindheit hat mein Großvater den Heiligen Abend zauberhaft inszeniert: Die gute Stube wurde schon vormittags versperrt, die Glastür mit einem Vorhang verhangen, und dann, als es schon dunkel war, läutete draußen plötzlich ein Glöckchen und von irgendwoher funkelten Wunderkerzen durch die Nacht. Das war das Zeichen, dass das Christkind gerade zu unserem Haus kam. Die Magie war allumfassend. Bis das Bescherungszimmer aufgesperrt wurde, die riesige Dogge den Weihnachtsbaum umwarf, die brennenden Kerzen den Vorhang und die Tischdecke versengten, im Versuch, das beginnende Feuer zu löschen, die Glasschale, die 5 Liter Bowle fasste, vom Tisch gefegt wurde. Die Entropie war perfekt.
Es gab Berge von Geschenken, alle doppelt und dreifach verpackt, und irgendwo hinten im Hof verbrannte mein Opa dann die Verpackungen in der Feuergrube. Aus Versehen auch einmal einen Umschlag, die dem sich 500 DM befanden.
Die Erwachsenen betranken sich, die Kinder überaßen sich, die Dogge kotze, weil sie die verschüttete Bowle aufschleckte. Weihnachten war wunderschön.
Und keiner verschwendete einen Gedanken an die Müllberge, an das Gift, das Lametta und Wunderkerzen freisetzen, an die Nachhaltigkeit von ferngesteuerten Autos oder dem ersten C64.
Nur af Nahrund wurde schon damals in den Tiefen der 1970er und 1980er geachtet: Es gab zwar Fleisch, aber das stammte vom Bauern nebenan, der sozusagen einer der Vorreiter der Biolandwirte war. Das Gemüse kam immer aus dem eigenen Garten, und die Kerzen, die den Weihnachtsbaum schmückten, wurden auf dem lokalen Weihnachtsmarkt von Dorfmitbewohnern gekauft, die sie selbst herstellten. Eine Quasi-Idylle sozusagen.
Heute boykottiere (mir gefällt allerdings der Ausdruck: girlkottiere) ich Weihnachten komplett. Lange schon habe ich dem Geschenketerror den Rücken gekehrt. Ja, die Kinder erhalten Geschenke, aber unter uns Erwachsenen haben wir dem Irrsinn abgeschworen. Dennoch bleiben Wünsche offen.
Den Wunsch nach einer besseren, einer erneut lebenswerten Welt teilen wir wohl alle. Und vielleicht ist das einer der großen Unterschiede zu damals: Früher glaubte ich ans Christkind, dass es mir meine Wünsche erfüllt. Heute weiß ich, dass es an uns liegt, an uns allen, ob unser Wunsch in Erfüllung geht. Eine intakte Welt gibt uns niemand mehr zurück, wir haben sie selbst zerstört. Wir wollen sie wieder heilen!


MF

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