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28 Nov
28Nov

Es ist 3 oder 4 Uhr, als ich aus einem Traum erwache: Ich habe mich in den vergangenen Tagen wohl zu intensiv mit den unzureichenden Ergebnissen der letzten Klima-Konferenz beschäftigt und bin zu sehr in die Vorbereitung eines psycho-philosophischen Workshops eingestiegen, der u.a. das menschliche Bedürfnis nach Transzendenz behandelt. 

Kurz: Mir träumte, dass die Erde endlich erwacht, ihre Güte von uns menschlichen Tieren abzieht und anderen Kreaturen zuwendet. Wie Parasiten schüttelte sie uns ab und ich war im Traum erleichtert, keine Urenkel an den luftleeren Raum zu verlieren. Was würdest du tun, wenn du wüsstest, dass du heute noch allein im Universum erstickst? Wen würdest du anrufen, wen noch umarmen, was noch zu Ende bringen wollen?


Mir ist klar, dass ich nicht mehr würde schlafen können, ziehe meine Laufklamotten an und renne los. Auch, wenn es noch stockdunkel ist, finden meine Füße ihren Weg: Sie wissen, über welche Wurzeln sie springen müssen, wann einen Haken schlagen, um einem tief hängenden Zweig auszuweichen. Und dann bin ich dort, an meinem Platz, an meinem Ort, am Ufer des ewig Rauschenden. Ich kauere mich an den Strand, es dauert ein wenig, bis die Nacht mich dort akzeptiert, sie heißt mich nicht willkommen, doch umhüllt sie mich mit ihren Tönen, lässt mich teilhaben an ihrer Melodie.


In der pädagogischen Beratung geben wir gerne einen Tipp an junge Eltern weiter: Setzt euch abends einen Moment ans Bett eures Kindes, fragt, ob es noch irgendetwas vom Tag gibt, was einer Entschuldigung von euch bedarf.


Hier an meinem Wasser, fremd-artig und doch an-wesen-d für diese Welt, lasse ich die Menschen meines Lebens Revue passieren: Es gibt niemand, der noch eine Entschuldigung von mir bedarf. Das glaube und das hoffe ich, versuch eich doch so zu leben. Sicher gäbe es einige, auf deren Entschuldigung ich noch warte, und doch gräme ich mich nicht. Ich freue mich, auch Menschen, die noch Versprechen einzulösen haben, Anrufe, auf die ich noch hoffe, noch nicht gehaltene Worte in meinem Leben zu haben. Ich bin nicht allein. Schlussendlich ist es deren Los, dieses Ver-Sagen auf sich zu nehmen, meine Ant-Wort kann ich auch so geben.


Und doch: Ich habe mich noch nie bei dieser Welt entschuldigt. Nicht meine Fehler vergolten, nicht um Vergebung meiner Schuld gebeten. All die Male, als ich nicht die beste Wahl für diese Welt getroffen habe, all jenes Vergehen gegen schlussendlich uns selbst.


Mit einem Male mutet die Szenerie mir surreal wie ein Roman von Richard Brautigan an, fast wartet ein Teil in mir darauf, die Nymphen des Flusses singen zu hören.


Ich stehe auf, laufe weiter, mir ist kalt geworden dort am Ufer. Vielleicht bleibt mir das: Abends innezuhalten und mich ggf bei der Erde zu entschuldigen, um es dann am nächsten Tag besser zu versuchen. Der Planet ist geduldig, er ist gütig – noch schüttelt er uns nicht wie Parasiten ab.
Was hast du noch zu Ende zu bringen?


MF

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