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06 Nov
06Nov

Dass die Menschenwürde als unantastbar in unserem Grundgesetz verankert ist, geht u.a. auf Immanuel Kant, unseren deutschen Vorzeigephilosophen (als das galt er zumindest, bis kürzlich zeitgleich zu Hegel u.v.a.m. rassistische Vorwürfe gegen ihn erhoben wurden) zurück. Der Begriff der Würde ist bei Kant eng mit seinem Verständnis von der Moralität des Menschen verknüpft: Da dem Menschen die Fähigkeit zu eigen sei, vernünftig und moralisch zu handeln, käme ihm im Gegensatz zu anderen Lebewesen unvergleichbarer Wert statt ein bloßer Preis zu.
Zweck der Vernunft sei es, guten Willen zu erzeugen: Und nur er alleine kann als Wesen des Guten gelten. Nur guter Wille kann nicht in den Dienst des Bösen gestellt werden – selbst, wenn ein guter Willensakt schlussendlich Schlechtes hervorbringen würde, ändert dies nichts am Guten des guten Willens. Oft wird Kant (von Vertretern einer konsequentialistischen / utilitaristischen Ethik) vorgeworfen, er würde die Konsequenzen von Handlungen missachten. Ich glaube, dass Kant hier, vielleicht absichtlich, missinterpretiert wird.


Der gute Wille darf nun nicht als Tugend, nicht als angeborene Eigenschaft oder Neigung verstanden werden – insofern ist dieser gute Wille nicht einer Laune oder Affinität gleichzusetzen. Der gute Wille entspringt quasi einem Vernunftsakt, ist Ergebnis des Räsonierens, ist eine wohl durchdachte qua Handlungsintention qua rational erarbeiteter Einstellung. Neigungsunabhängig folgt er dem kategorischen Imperativ, der, paraphrasiert, besagt, dass mein Handlungsgrund für alle anderen vernünftigen Wesen als verbindliche Vorlage gelten können muss, um moralisch gut zu sein. So weit, so gut nach Kant. 

Doch diese Zusammenfassung für Anfänger findet seine Fortsetzung: Denn wer beim guten Willen stehen bleibt, lebt eben den kategorischen Imperativ nicht. Wer in der Lage ist, Gutes zu bewirken, ist auch verpflichtet, dies zu tun, wenn es möglich ist. Allein die gute Handlungsabsicht, wenn sie nicht zum Tragen kommt, kann wenig Gutes bewirken. Und dann, so sehe ich es, ist das Gute an sich, das nicht gelebt wird, ziemlich beliebig. Ideen müssen materialisieren, Seelen müssen inkarnieren, um wirksam zu sein. Nun leben wir nicht in einer Welt eines Laplace´schen Dämons und können nicht die Folgen unseres Handelns bis ins letzte Detail voraussehen. Und genau deswegen, so meine ich, sollten wir uns die Mühe machen, zu durchdenken, welche Folgen die Unterlassung unserer Handlungen haben können. Und hier gilt es, negative Folgen zu vermeiden. 


Um banale Alltagsbeispiele zu nennen: Ich weiß nicht, ob ich nicht, wenn ich die auf der Straße liegende von nächtlichen Feiernden weggeworfene Schnapsflasche aufhebe und in den Glascontainer werfe, nicht einer Maus, die sich im Container versteckt, damit aus Versehen die Pfote breche. Dass aber der Senior mit dem Rollator, der diese Straße jeden Morgen passiert, vielleicht über diese Flasche stolpert und sich den Oberschenkelhals brechen kann, das kann (und muss!) Teil meiner Überlegung sein. Hier spielt also die Vorwegnahme der Konsequenzen meiner Handlungen sicher eine Rolle – und wenn schließlich der Senior, weil er sich nicht das Bein bei seinem Sturz wegen der Flasche, die ich aufgehoben habe, gebrochen hat und nicht im Krankenhaus liegt, nun an der nächsten Kreuzung von der Straßenbahn angefahren wird, so schmälert das nicht meine gute Intention. Selbst, wenn die ultimative Konsequenz nicht gut sein sollte. Vielleicht sollten wir uns einfach von der Vorstellung eines über den Moment hinaus gültigen, objektiven Begriff des Guten verabschieden oder ihn auf eine negative Definition reduzieren: Das Gute findet sich darin, Schmerzen, Leid verhindern wollen. Kein einziger der Menschen erschaffenden Götter scheint in der Lage gewesen zu sein vorherzusehen, wie viel Schlechtes aus seiner guten Absicht der Welterschaffung entstand.


Aber wie steht es um die Würde? Kommt dem Menschen tatsächlich allein deswegen (im Unterschied zu anderen Lebewesen) Würde zu, weil er potentiell Träger eines guten Willens ist, selbst, wenn dieser nie zum Ausdruck gebracht werden kann? Oder sollten wir unser Verständnis von Würde nicht auf alles Lebende ausweiten? Eventuell eben sogar oder gerade auf jenes Lebendige, die Natur und alles aus ihr Hervorgegangene, das sich nicht erst den Kopf darüber zerbrechen muss, was nun gutes Handeln sein könnte? Weil es an sich absichtslos, und damit: nie böswillig, ist? Doch verliert ein Begriff nicht seine Bedeutung, wenn wir ihn an nichts messen, ihn von nichts abgrenzen? Ist „Alles“ ohne „Nichts“ nicht nichtssagend? Doch wie kann es „Alles“ geben, wenn „Nichts“ existiert? Ist Menschenwürde nicht, analog zu Menschenrechten, immer wieder neu auszuhandeln? Genug philosophiert, zurück zur Pragmatik: Der gute Wille reicht nicht, wenn er nur als reines Gedankenspiel verstanden wird. Gutes bezwecken meint eben genau das: zu einem guten Zweck agieren. Manchmal eben trotz der eignen persönlichen Unlust und Bequemlichkeit manchmal den eigenen Präferenzen zuwider, um „des großen Ganzen“ willens.


Das heißt nun wiederum nicht, dass ich es nicht gut finden kann, was sich mein Verstand erarbeitet hat – ich kann durchaus Erfüllung finden, wenn ich mein Handeln rein rational nach kategorisch-imperativen logischen Gründen ausrichte. Das Gute kann ruhig auch mal beglücken. Und wenn es ist, beim Joggen durch den Wald weggeworfene Plastiktüten oder auf der Straße vor dem Altenheim Schnapsflaschen aufzusammeln.


MF

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