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09 Jun
09Jun

Dass Natur beruhigend wirkt und dass Tierbegegnungen glücklich stimmen, ist keine neue Erkenntnis. Es ist auch nicht neu, dass in der Psychotherapie, insbesondere der Traumatherapie, die positiven Effekte von Naturbegegnungen genutzt werden. Relativ neu ist, dass wir heute die praktische Erfahrung mit einer validen Hintergrundtheorie untermauern können: Die Polyvagaltheorie, vom US-amerikanischen Neurowissenschaftler Stephen Porges ins Leben gerufen, beschreibt neurobiologisch, weshalb der Aufenthalt im Grünen in uns ein Gefühl der Beruhigung, der stillen Freude auslöst – uns aber auch empathischer macht.

Der Nervus Vagus ist der 10. (von insgesamt 12) Hirnnerv und gehört zum parasympathischen Nervensystem. Der Nervus vagus ist auch während der Verdauung aktiv und bewirkt auf organismischer Ebene Beruhigung. Nach der Polyvagaltheorie (nach S. Porges) besteht er aus zwei verschiedenen Teilen: Im vorderen Teil des Vagusnervs sind die Nervenäste von einer Myelinscheide umgeben, der hintere Teil ist nicht myelinisiert. Myelin bewirkt eine schnellere Weiterleitung eines (elektrischen) Nervenimpulses.

  • Der hintere, nicht-myelinisierte Teil ist der ältere, der ursprüngliche Teil und liegt dorsal. Der Nervus vagus ist mit den anderen Hirnnerven verbunden:
    V. Hirnnerv (Nervus trigeminus)
    VII. Hirnnerv (Nervus facialis = Gesichtsnerv)
    IX. Hirnnerv (Nervus glossopharyngeus, unter anderem zuständig für das Mittelohr)
    XI. Hirnnerv (Nervus accessorius: versorgt Schlund, Kehlkopf, Musculus      sternocleidomastoideus und den Trapezmuskel)           
  • In der Entwicklung des Menschen hat sich der myelinisierte Anteil erst später entwickelt: Er geht von einem Teil des Gehirns, dem Nucleus ambiguus, aus und befindet sich ventral – so hat dieser Ast des NV die Bezeichnung „ventraler Vaggus“ erhalten. Dieser ventrale Vagus ist in Situationen, die Sicherheit, Geborgenheit, Wohlbefinden assoziieren, aktiviert und für das soziale Verhalten (social engagement) mit-verantwortlich.    
  • Der Nervus vagus hat einen großen Anteil an der Kommunikation. Der NV spielt bei Beruhigung, aber auch bei Trauma-Reaktionen wie z.B. Dissoziation und Erstarrung eine entscheidende Rolle. Er hängt mit den unwillkürlichen Bewegungen der Gesichtsmuskulatur zusammen und      reagiert auf soziale Interaktion. Eine Aktivierung des ventralen Vagus ist Voraussetzung für die Fähigkeit zu Kommunikation und sozialem Kontakt, verbunden mit Mimik, Gestik, Prosodie und der überaus wichtigen Fähigkeit, menschliche Stimmen aus Hintergrundgeräuschen herauszuhören. Der ventrale Vagus wird deshalb auch als sozialer Vagusbezeichnet. Der ventrale Vagus hat zudem eine wichtige Funktion als Bremse des Herzrhythmus. Die Vagusbremse reduziert den Puls gegenüber dem ungebremsten Grundrhythmus. Wenn der VNV aktiviert ist, spüren wir sofort seine beruhigende, entspannende Wirkung.          
  • Wir brauchen als Grundvoraussetzung für Empathie den Eindruck der Sicherheit – nur, wenn wir uns sicher und frei von Bedrohung wissen und fühlen, können wir auch empathisch auf den anderen zugehen. In Angstsituationen haben wir keine Ressourcen frei, um uns      um Mitgeschöpfe zu kümmern geschweige denn deren Position zu berücksichtigen.             
  • Aus einer Funktionsstörung des Vagusnervs können eine Vielzahl von Symptomen und Syndromen resultieren, z.B. Hyperakusis, Migräne, Rückenschmerzen, Zähneknirschen, Kloß im Hals, Arthritis, Energiemangel, Reizbarkeit, Depressionen, gedrückte Stimmung, Ängstlichkeit, Schweregefühl, Ruhelosigkeit, Schlafstörungen, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit, Tagträumen, Asthma, Hyperventilation, Kurzatmigkeit, Bluthochdruck, Verdauungsstörungen, Allergien, ADHS, Autismus/Asperger, Suchtmittelgebrauch, kein sexuelles Verlangen, Hochsensibilität (Hypervigilanz)...     

Wir können selbst einiges tun, um den Ventralen Vagus zu stimulieren: Natürlich sind es in erster Linie soziale Situationen, der Austausch und die Beziehungen mit unseren Lieben, die dieses social engagement System aktivieren. Doch nicht nur das: Auch Zeit mit Tieren und eben auch Zeit in der Natur rufen den Ventralen Vagus ins Leben. Also: Handy weglegen, runter vom Sofa, raus in die Natur!







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