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07 Dec
07Dec

Ich mag Kunst.
CD Friedrich ist, so die Familienlegende, einer meiner Vorfahren. Doch nicht deswegen mag ich Kunst. Wenn seine Genetik a) überhaupt etwas mit meiner zu tun hat, und b) wenn Gene ihrerseits wiederum mehr als nur basale organismische Dispositionen bestimmen (wie, sehr simplifiziert beschrieben, beispielsweise das Gen-Allel SLC6A4 die Reagibilität des Körpers nach oben reguliert), dann habe ich ihm wahrscheinlich am ehesten meine manchmal zum Pathos übersteigerte Neigung, Natur zu mystifizieren und zu verklären, anzulasten.

Natur können wir nicht mögen. Wir haben sie nicht geschaffen, wir haben sie nur gemalt. Wir schauen ihre Idee, wir erfinden sie nicht. Wir bilden sie ab, wir reproduzieren sie. Sie zu mögen, würde bedeuten, uns von ihr zu entfernen, sie von außen zu betrachten, sie als Ding zu sehen. Sie zu mögen, würde bedeuten, sie zu einem „es“ zu machen. Natur durchdringt uns, macht uns aus, erlaubt uns erst, unser Ego daraus zu partialisieren.
Und doch: Wenn ich Stellung beziehen sollte, mag ich Natur lieber als Kunst. Weil es ohne sie auch kein Ich gibt, ich kann mich ohne Natur nicht denken. Und weil Natur, weil Landschaften, weil diese entstandenen und (un-)geformten Szenerien, weil mäandernde Wasserläufe in ihrem Farbenreigen, weil ockerfarbene Steppen und tiefgrüne Nadelwälder für mich an sich Kunst sind.
Aus meiner Perspektive inspiriert uns alleine und ursprünglich Natur zu Kreativität. Sie führt uns vor Augen, woher wir kommen, sie verdeutlicht, nicht wer, sondern was wir sind: Als Teil aus dem Ganzen entstanden, dahin zurückkehrend, es reintegrieren sich unsere Zellen schlussendlich ins organisch Ganze.
Es braucht für mich keinen Gott, um der Natur ihren Odem einzuhauchen, es braucht keine teleologische Kraft, die Menschen aus Lehmklumpen baut. Diese fehlende Zielgerichtetheit schmälert nicht die Leistung der Natur (die ich, sprachlich notgedrungen, in diesem Satz personifiziere). Denn das, was ist, was wurde, ist nicht weniger großartig, weil es nicht konstruiert wurde, sondern sich ergab.


Den Aktionen der „Last Generation“ bin ich also nicht deswegen ambivalent eingestellt, weil ich glaube, dass Kunst mehr Wert hätte als Natur. Dass es wichtiger sei, Geldwerte zu schützen als zu versuchen, den Fortbestand unserer Erde zu ermöglichen. Wenn es doch noch gelingen könnte, uns schützend vor unsere Mit-Welt zu stellen, unsere Mit-Menschen davon abzuhalten, weiterhin permanent 1,75 Erden zu verbrauchen (die Zahl stammt aus dem Sommer 2022), wenn wir uns ausnahmslos darauf rückbesinnen würden, woher wir stammen und wessen Teil wir sind...: dann hätten die Künstler dieser Welt auch zukünftig noch Gelegenheit, Bilder zu malen. Dann gäbe es weitere Generationen, dann könnte es weitere Raffaels und und van Goghs geben.

 
Ich trauere also nicht um die Klimts und Monets der Galerien.
Welche Bedeutung haben Werke der „Hochkultur“, wenn es keine Hochkultur mehr gibt? Wenn die Werte einer Hochkultur, wie Respekt, Toleranz, vor allem anderen: Rücksichtnahme und Kooperationsbereitschaft (die mit eigener Mäßigungsbereitschaft einhergeht!) lange schon auf dem Altar des egomanischen und entmenschlichten, weil du-und wir-fernen, Hedonismus geopfert wurden?


Was mich bekümmert ist, dass der Fokus der allgemeinen Diskussion mehr auf den Straftaten als auf der Motivation und der Zielausrichtung der Klima-Aktivisten liegt. Eben weil es extrem wirkt, Erbsensuppe auf Gemälde zu gießen, weil es einem Oxymoron gleichkommt, um der Weltenrettung willen Nahrung an Bilder zu verschwenden, wenn doch 828 Millionen Menschen auf der Welt hungern – obgleich genügend Ressourcen vorhanden wären, alle Mäuler zu stopfen, wenn wir endlich beginnen würden zu teilen. Wir können nicht den Planeten über Menschen stellen (so gerne ich das selbst oft tun würde), dies verstärkt nur die Trennung zwischen Mensch und Natur, deren Teil wir sind.


Ich glaube nicht, dass Misanthropie den Planeten retten kann – nur, wenn wir uns auf einer transzendentalen Ebene wirklich verbunden sehen, wenn wir das Bubersche Grundwort Ich-Du sprechen, bezogen auf die formgewordenen Gestalten einer uns durchdringenden Natürlichkeit, auf Bäume, Berge, Wolken, doch ebenso bezogen auf alle Lebewesen, sogar auf Menschen, wird uns bewusst, welch´ Unrecht wir leben, wenn wir uns alles nehmen, wenn wir nichts lassen.


MF

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