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09 Apr
09Apr

Ich schlendere mit einem Freund durch die Stadt, bücke mich, hebe eine leere Chipstüte auf, die über den Gehweg dahin weht. Wir sind gerade an großen privaten Abfallcontainern vorbeigekommen, aber der nächste öffentliche Papierkorb ist doch einige hundert Meter weg. Mein Freund schaut mich etwas schräg von der Seite an. Auf dem Rückweg wiederholt sich die Aktion, dieses Mal hebt mein Begleiter irgendeine leere Verpackung auf dem Weg auf und bringt sie zur nächsten Tonne. Abends sitzen wir in einer kleine Runde zusammen und quatschen über dies und das, als die Sprache auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz kommt. „Da muss man sich dann auch mal zum Affen machen und was aufheben was auf der Straße liegt, um es in einen Mülleimer zu werfen“, erzählt mein Kumpel.
Sich zum Affen machen... ich bleibe bei dem Ausdruck hängen... Zwar habe ich seinen zunächst befremdeten Blick durchaus zur Kenntnis genommen, als ich mich nach der Chipstüte bückte – aber ich habe ihn nicht weiter interpretiert. D.h.: Nach zwei Jahren Priming durch Corona-Politik dachte ich, seine Irritation würde sich auf eventuelle Viren an der leeren Verpackung beziehen – schließlich war weit und breit kein Desinfektionsständer in Sicht. 

Doch nun merkte ich, dass es für ihn tatsächlich ein wesentlich bewussterer Akt war, seine eigene Scham, als er später ebenso Müll von der Straße pflückte, zu überwinden – als für mich, die ich diese Scham gar nicht empfand. Für mich wäre es peinlicher, über Unrat hinwegzusteigen und ihn liegenzulassen als ihn einfach aufzulesen. Und doch kennen wir wohl alle solche Momente der eigenen Irritation: Wenn wir, bevor wir etwas tun, innehalten – und irgendeine innere Handbremse lösen müssen. Obgleich wir wissen, dass wir etwas Gutes, zumindest nichts Schlechtes, tun wollen – und doch springt irgendeine beinahe kindliche, uralte Angst in uns an: „Was werden die anderen denken?“ „Was, wenn mich jemand sieht?“ Nicht die gute Intention und Konsequenz unserer Handlung steht uns hier vor Augen, sondern das auffallende Ausscheren aus der Norm. Schließlich hat kein anderer den Abfall aufgehoben. Es scheint normaler, ihn liegen zu lassen. 

Ich halte es für tapfer, seine eigene Scheu zu überwinden und sich, ganz bewusst, für eine richtige Handlung zu entscheiden. Richtig meint hier, dass die Konsequenzen, soweit ich sie absehen kann, erwünschter sind als die der Unterlassung der Handlung. Ja, zunächst kostet es Energie, seine inneren Kritikerstimmen zu überwinden. Und doch braucht die Welt mehr von diesen Menschen wie meinen Freund, die sich nicht von eigener Bequemlichkeit oder Scham befehlen lassen. Die sich bewusst dafür entscheiden, anders zu handeln als „normal“. Solange, bis eben das andere, erwünschte Verhalten normal wurde.
Dann braucht es, hoffentlich, auch diesen Blog nicht mehr: Wenn die Fürsorge für diese unseren Welt wieder selbstverständlich ist. Das ist Jos und mein Anliegen: Unsere tadelnden Stimmen in dieser Hinsicht überflüssig zu machen. Ich habe auch viel lieber Spaß und klopfe blöde Sprüche, als den mahnenden Zeigefinger zu heben.

MF

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