Inmitten einer Welt, die durch Klimakrise, technologische Umwälzungen und tiefgreifende gesellschaftliche Verwerfungen gekennzeichnet ist, drängt sich eine grundlegende Frage auf: Was ist die angemessene Haltung gegenüber der sich zuspitzenden Gegenwart – sollen wir in Panik geraten oder nicht? Das Ars Electronica Festival 2025 nimmt sich diesem Spannungsfeld mit dem provokanten Thema "PANIC – yes/no" an. Es lädt dazu ein, über unsere kollektiven emotionalen, sozialen und ethischen Reaktionen auf die Krise nachzudenken. Dabei berührt es ein zentrales Motiv der Philosophie: Wie verhalten wir uns angesichts der Endlichkeit, des Kontrollverlusts und der Möglichkeit des radikalen Wandels?
Traditionell gilt Panik als dysfunktionale Emotion – als etwas, das Denken vernebelt, Entscheidungen erschwert und kollektives Handeln blockiert. Doch ist Panik nicht auch ein Indikator dafür, dass ein Zustand unerträglich geworden ist? Dass Gewissheiten bröckeln, dass das Vertrauen in Fortschritt, Technologie oder Politik erschüttert ist? Die philosophische Anthropologie kennt das Phänomen der Grenzerfahrung: Momente, in denen der Mensch aus seinem Alltagsvollzug gerissen wird und mit fundamentalen Fragen konfrontiert ist. Panik könnte – in diesem Sinne existenziell verstanden – Ausdruck eines Bewusstseins für den Ernst der Lage sein.Gerfried Stocker, künstlerischer Leiter des Festivals, weist in diesem Zusammenhang auf die Gefahr des Alarmismus hin. Nicht blinde Aufregung, sondern ein "kritisches Bewusstsein", eine Art „digitales Immunsystem“, sei nötig. Panik müsse nicht zum lähmenden Affekt werden – sie kann auch zum Motor für eine tiefgreifende Reflexion über unsere Lebensweise, unsere Abhängigkeiten und unsere Verantwortung werden. Panik als Schwelle zwischen altem Vertrauen und neuer Wachheit – das ist der philosophisch interessante Moment.
Kunst wirkt dort, wo Sprache und Diskurs an ihre Grenzen stoßen. Sie schafft Räume des Staunens, der Irritation, der Ambivalenz. Gerade in ökologischen Fragen ist Kunst kein bloßes Mittel zur Illustration von Daten oder Szenarien. Sie konfrontiert uns mit der Affektseite des Wandels: Angst, Trauer, Wut – aber auch Hoffnung, Schönheit und das Staunen über das Leben.Im Sinne Martin Heideggers könnte man sagen: Kunst bringt „Welt zum Erscheinen“. Und diese Welt ist heute bedroht – nicht nur ökologisch, sondern auch symbolisch. Wenn die Kunst unser Verhältnis zur Natur, zur Technik, zum Körper neu verhandelt, dann tut sie das nicht als Predigt, sondern als Einladung zur Wahrnehmung und Selbstbefragung.Kunst ermöglicht uns, auf einer tieferen Ebene in Beziehung zu treten – mit der Erde, mit anderen Lebewesen, mit der eigenen Verletzlichkeit. Diese Beziehung ist Voraussetzung für ein ökologisches Bewusstsein, das mehr ist als eine Sammlung von Fakten oder moralischen Appellen. Es ist ein Bewusstsein, das mit dem Herzen sieht.
Die ökologische Krise ist kein „Problem“, das sich rein technisch lösen lässt. Sie ist ein Symptom eines tiefer liegenden Missverhältnisses zwischen Mensch und Welt. Der Philosoph Hans Jonas formulierte in seinem Prinzip Verantwortung die These, dass unsere ethischen Kategorien der Moderne – bezogen auf unmittelbares Handeln im Nahbereich – der globalen Wirkungskraft menschlichen Tuns nicht mehr genügen.Die Verantwortung für künftige Generationen, für das Leben an sich, für das Klima als gemeinsame Lebensgrundlage verlangt ein neues moralisches Paradigma. Umweltbewusstsein wird damit zu einer Frage der Gerechtigkeit – zwischen den Generationen, aber auch zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden, zwischen menschlichen und nicht-menschlichen Akteuren.In dieser Perspektive ist Umweltbewusstsein kein Lifestyle, sondern ein Akt der radikalen Infragestellung des eigenen Selbst- und Weltverständnisses. Es bedeutet, sich von der Illusion der Beherrschbarkeit zu verabschieden – und zugleich Verantwortung zu übernehmen, wo Handlungsspielräume bleiben.
Panik mag ein Ausgangspunkt sein – aber sie darf nicht der Endpunkt bleiben. Der französische Philosoph Edgar Morin spricht in diesem Zusammenhang von der „tragischen Hoffnung“. Sie ist nicht naiv. Sie weiß um die Abgründe, die Komplexität, die Enttäuschungen. Und dennoch hält sie an der Möglichkeit fest, dass Wandel möglich ist – nicht aus blindem Optimismus, sondern aus der Erkenntnis, dass Resignation keine Option ist.Diese Hoffnung nährt sich aus einer Haltung der Verbundenheit, des Respekts, der Demut vor dem Leben. Sie zeigt sich in kleinen Praktiken der Fürsorge, in künstlerischen Gesten, in politischen Kämpfen. Und sie braucht Räume wie das Ars Electronica Festival, in denen Denken, Fühlen und Handeln neu verknüpft werden.
Panik ist ein Weckruf. Hoffnung ist ein Horizont. Dazwischen liegt die Aufgabe, Verantwortung zu übernehmen – als Einzelne, als Gesellschaft, als globale Gemeinschaft. Das Ars Electronica Festival 2025 lädt dazu ein, diese Aufgabe ernst zu nehmen. Es bietet eine Plattform, in der Kunst, Wissenschaft und Philosophie sich begegnen – nicht im Modus der Lösung, sondern im Modus der Suchbewegung.Im Dialog mit Kunstwerken, Technologien und Ideen können wir eine neue Sensibilität für die Dringlichkeit, aber auch für die Schönheit des Lebendigen entwickeln. Und vielleicht ist es genau diese Verbindung – von Panik, Reflexion und poetischer Hoffnung –, die den Weg weist in eine Zukunft, in der Umweltbewusstsein mehr ist als eine Pflicht: nämlich Ausdruck einer neuen, reiferen Form der Menschlichkeit.
MF