Marion
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05 Sep
05Sep

Egon Schiele starb 1918, kaum 28 Jahre alt, an den Folgen der Spanischen Grippe. Ein Leben, das so abrupt endete, dass es fast selbst wie eine expressionistische Skizze erscheint: kantig, unterbrochen, radikal im Ausdruck, aber unvollendet. Was bleibt, sind seine Werke – Körper, die im Fragment sprechen, Gesichter, die den Abgrund einer Epoche spiegeln. Sie stehen an der Schwelle zur Moderne, geprägt von Krankheit, Krieg und Umbruch. Die aktuelle immersive VR-Installation zu Schiele im Rahmen des Ars Electronica Festivals führt diesen Umbruch in unsere Zeit. In der digitalen Sphäre wird sein Werk nicht nur betrachtet, sondern sein Leben wird betreten: Wir interagieren mit ihm, werden von hm gezeichnet (eine KI ist heute die Verlängerung seiner Kunst), Linien werden zu Räumen, Farben zu Atmosphären, der Körper des Betrachters wird Teil der Szene. 

Statt Abstand zwischen Kunst und Publikum gibt es Nähe, statt Rahmen die Ausdehnung ins Virtuelle. Die Brüche in Schieles Strichen werden zu Landschaften, die man durchschreiten kann. In dieser Transformation wird Schieles Werk neu lesbar: nicht mehr nur als historische Geste, sondern als Erfahrungsraum der Gegenwart. Wo seine Figuren einst die Verwundung des Körpers und die Brüchigkeit des Lebens ausstellten, spüren wir heute, in immersiver Technologie, die Fragilität der eigenen Wahrnehmung. 

Die Spanische Grippe, die ihn tötete, war eine Pandemie, die Weltordnungen ins Wanken brachte – so wie unsere eigene Zeit von Umbrüchen gezeichnet ist: Klimakrise, digitale Transformation, globale Verwerfungen. 

Genau hier liegt der Übergang zu meinen Themen von blognatur.com: Wie verarbeiten wir diese Fragilität, diese Übergänge, diese Momente der Verletzlichkeit? Schieles Figuren wirken oft entrückt, verzerrt, fast schmerzhaft ehrlich in ihrer Körperlichkeit. In der Natur, wie sie auf deiner Seite thematisiert wird, finden wir ein anderes, aber nicht weniger intensives Gegenbild: Verwurzelung, zyklische Erneuerung, die fragile Balance ökologischer Systeme. Beide Perspektiven – der künstlerisch verzerrte Körper und die bedrohte Natur – sind Ausdruck derselben Suche: Wie lässt sich im Umbruch Halt finden? Vielleicht war es auch schon die Spanische Grippe, die uns heute lehren könnte, wie Kunst und Natur als Resonanzräume fungieren. Schieles frühes Sterben erinnert an die Endlichkeit jedes Körpers, die VR-Installation dagegen öffnet die Möglichkeit einer zweiten Gegenwart: Wir treten in Räume ein, die es real nie gab, wir leben in Verlängerungen der Realität, wir begegnen Schiele. Und Natur, in ihrer verletzten wie heilenden Dimension, bleibt der Boden, zu dem wir immer wieder zurückkehren. So verbindet sich im Festivalerlebnis ein dreifacher Bogen: 

  • Schieles Expressionismus – die innere Wahrheit des Körpers in der Krise,
  • die immersive VR – die Erweiterung unserer Wahrnehmung im digitalen Raum,
  • die Natur – als elementare, verletzliche Grundlage unseres Lebens.

Der Umbruch von 1918 und der Umbruch von heute sprechen miteinander. Die Frage ist dieselbe: Wie gestalten wir inmitten von Krisen, Brüchen und neuen Technologien ein Leben, das nicht nur Überleben ist, sondern Ausdruck? 

Die VR-Installation zu Egon Schiele ist eines meiner Highlights des diesjährigen Ars Electronica Festivals: Sie ist ein Experiment, wie Kunst, Technik und Geschichte uns heute lehren können, in einer fragilen Welt neue Resonanzräume zu erschaffen – zwischen Körper und Natur, zwischen Erinnerung und Zukunft.

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